Weltwirtschaftsforum in Davos 2013. Davos ist ein interessanter Ort im Kanton Genf. Genau genommen ist es ein Städtchen in Graubünden (sic). Einmal im Jahr treffen sich dort die wirklich Wichtigen und Einflussreichen, die Entscheider und Macher. Klar das „einfache“ Volk muss draußen bleiben, wird aber durch die Medienverlautbarungen darüber informiert, was es in Zukunft zu ertragen hat. Soll ja keiner sagen können, er habe das nicht gewußt! Es ist auch Verlass darauf, dass die Zahl derjenigen Menschen sehr groß ist, die das lieber nicht so genau wissen wollen. Etliche der dort vorgetragenen Reden, obgleich vor Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeit strotzend und von Bedeutungshuberei sowie Neu- oder Dummsprech triefend, sind uns in unguter Erinnerung geblieben. Ungut deshalb, weil sie sich als zutreffend und auf beängstigende Weise wirklich herausgestellt haben. 1996 heulte dort der Leitwolf H.Tietmeyer (ehedem Bundesbankpräsident) den schon strahlenden, fast vollen Mond des Neoliberalismus an und besiegelte einen Pakt mit den anwesenden Staatsoberhäuptern, Oligarchen, Ministern und Lobbyisten, mit den Worten: „Von nun an stehen Sie unter der ‚Kontrolle‘ der Finanzmärkte“.* Die Meute heult mit, alle sind zufrieden. Fünfzehn Jahre später waren die meisten Staaten aufgrund der Deregulierungs- und Wettbewerbswillfährigen Politik und der folgenden Spekulationsblasen der entfesselten Finanzmärkte deutlich ärmer, einige wenige dagegen deutlich reicher. Hie wurden Schuldenberge und da schließlich Vermögensberge aufgeschaufelt. Alles im grünen Bereich.
Apropos Grüne und SPD: „Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.“** verkündete G.Schröder 2005 in DAVOS stolz. Er lobte seine Strukturreform (HartzIV, 400€ Jobs etc.)Und das war ja auch für seine Nachfolgerin ein bindend Maß. War es bei Rot-Grün nocht ein bregrenzter Pakt von Wirtschaftsinteressen und Politik in Deutschland, will es Merkel jetzt wissen. Europa ist das Ziel. Seitdem werden Pakte geschmiedet als gäbe es kein Morgen mehr. Fiskalpakte, Schuldenpakte, Stabilitäspakte, Wirtschaftspakte, Wachstumspakte und jetzt der Pakt für Wettbewerbsfähigkeit:
„Was uns aber noch fehlt – und daran müssen wir in diesem Jahr 2013 arbeiten –, ist eine Antwort auf die Frage: Wie können wir sicherstellen, dass wir in den nächsten Jahren auch eine Kohärenz in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit im Bereich der gemeinsamen Währungsunion erreichen? […]
Merkel spricht dabei von Kohärenz. Das kann Zusammenhang oder auch Abstimmung, Koordination bedeuten.(Duden). Nun ja, eine zusammenhangslose Politik will niemand und sich dabei in Europa abzustimmen ist sicher auch vorteilhaft und eine koordinierte Politik ist, so hofft man, besser als eine unkoordinierte.
Eine Plattitüde ? Nein, ganz im Gegenteil. Der Bergriff der Kohärenz ist in der Psychologie ein eher weiches Kriterium anhand dessen beurteilt wird, ob ein Gedankengang formal und logisch richtig und nachvollziehbar ist. Inkohärenz kennzeichnet z.B. eine Denkstörung. Es gibt auch eine Selbst-Wahrnehmung einer solchen Inkohärenz als Störung bei den betroffenen Personen. Sie wird als Verlust von Identität, Abtrennung oder Fehlen eines Teils von sich (Ich) oder als sich selbst als fremd gegenüberstehend erlebt. Das ist schon nicht mehr so banal. Gehen wir also von dieser Lesart der Bedeutung von Kohärenz aus, wird deutlich, dass die bisherige Politik (Schuldknechtschaft, Privatisierung, Wettbewerb um jeden Preis, marktkonforme Demokratie u.ä.) als nicht mit sich selbst identisch, als unvollständig erlebt wird, ergo als inkoheränt. Es fehlt was! Was dies ist, darüber läßt sie uns nicht im Zweifel:
„Ich stelle mir das so vor – und darüber sprechen wir jetzt in der Europäischen Union –, dass wir analog zum Fiskalpakt einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit beschließen, in dem die Nationalstaaten Abkommen und Verträge mit der EU-Kommission schließen, in denen sie sich jeweils verpflichten, Elemente der Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, die in diesen Ländern noch nicht dem notwendigen Stand der Wettbewerbsfähigkeit entsprechen. Dabei wird es oft um Dinge wie Lohnzusatzkosten, Lohnstückkosten, Forschungsausgaben, Infrastrukturen und Effizienz der Verwaltungen gehen.“***
Es ist also mehr als nur eine quasi berufungsmäßig neoliberale Denkstörung, die hier zutage tritt, es ist ein normatives Programm. Es ist verbunden mit einer regelgeleiteten Vorstellung darüber wie diese Prozesse gestaltet werden sollen.
Überinterpretiert? Merkel ist schließlich Physikerin und keine Psycholgin. Sie fällt, außer im Erhalt der Macht, gerade nicht durch besondere psychologische Raffinesse oder Feingefühl auf. Höchstens mal in der Sparte Küchenpsychologie, wie z.B. bei der schwäbischen Hausfrau.
Vielleicht sollte mit dem Begriff der Kohärenz eher ein physikalischer Bezugsrahmen verbunden werden. In der Physik bedeutet Kohärenz,lt. Wikipädia, die Eigenschaft von Wellen, im dynamischen Verlauf einer gemeinsamen festen Regel zu folgen.
Denkt man sich neoliberale Politik als Welle, deren dynamischer Verlauf sich seit über 30 Jahren über unsere Gesellschaften ausbreitet, bedeutet die Rede von Kohärenz in diesem Zusammenhang nichts anderes als dass wir alle in Deutschland, in Europa und in der ganzen Welt dieser einen Regel gemeinsam folgen müssen:
Für alle Menschen, Unternehmen und Gesellschaften gilt der Wettbewerb; der Markt entscheidet über die Wettbewerbsfähigkeit; gut ist, sozial ist, was Wettbewerbsfähigkeit schafft. Na also, geht doch, klarer kann so ein Programm nicht ausgesprochen werden.
Um es in der Sprache der Pakte zu sagen: Ein Pakt der Wölfe. Wir werden auf die totale Wettbewerbsfähigkeit eingeschworen. Lohnzusatzkosten gering halten, ergo Unternehmen von der solidarischen Finanzierung befreien; Lohnstückkosten? Löhne der Lohnabhängigen senken; Forschungsausgaben: ergo Eliteunis, Auftragsforschung, Drittmittelfinanzierung fördern; Infrastrukturen: ergo privatisieren (PPP) wie z.B. Wasser oder Straßen, bald Bildung?; und Effizienz der Verwaltungen heißt nichts anderes als weitere Privatisierung von Dienstleistungen, Stellenabbau (lean management) sowie Abgabe von politischer Zuständigkeit und Verantwortlichkeit. „Keine Atempause,Geschichte wird gemacht, es geht voran!“
Soll nochmal einer sagen, er habe von nichts gewußt.
*H.Schumann: Die Globalisierungsfalle (1998)
**Gerhard Schröder in seiner Rede [PDF – 23 KB] vom 28.01.2005 vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos
*** A. Merkel in DAvos http://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/Rede/